World Health Organization. (2021). WHO global air quality guidelines: particulate matter (PM2.5 and PM10), ozone, nitrogen dioxide, sulfur dioxide and carbon monoxide. World Health Organization. https://apps.who.int/iris/handle/10665/345329. Lizenz: CC BY-NC-SA 3.0 IGO
Aktualisierte WHO-Leitlinie zur Luftqualität
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat am 22.09.2021 ihre neuen Leitlinien zur Luftqualität veröffentlicht und senkt darin ihre Empfehlungen für die Belastungen mit Feinstaub und Stickstoffdioxid zum Teil massiv ab.
Das Science Media Center (SMC) hat dazu ein umfangreiches Dossier für die Medien erstellt und deutschsprachige Expertinnen und Experten um Stellungnahme gebeten – darunter auch Prof. Hartmut Herrmann und Prof. Alfred Wiedensohler vom TROPOS.
Hier der Link zum SMC-Dossier sowie die Statements der beiden TROPOS-Experten:
SMC-Dossier: Aktualisierte WHO-Leitlinie zur Luftqualität
„So liegt der Wert für die NO2-Belastung künftig nicht mehr wie bisher bei 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, wie es auch die rechtlich bindenden Grenzwerte für die EU vorschreiben, sondern bei dann nur noch 10 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Eine Umsetzung der WHO-Empfehlungen in den EU-Grenzwerten hätte zur Folge, dass auch in Deutschland wieder deutlich mehr Stationen, die Luftqualität messen, Überschreitungen der zulässigen Belastung anzeigen würden als zuletzt. Die WHO-Empfehlung für die Langzeitbelastung mit Feinstaub PM2.5 liegt nun bei 5 statt bisher 10 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft (EU-Grenzwert 25 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft), die für Feinstaub PM10 bei 15 statt bisher 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft (EU-Grenzwert 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft). … Die WHO spricht in ihren neuen Leitlinien Empfehlungen und Zwischenziele für die sechs wichtigsten Luftschadstoffe aus: Feinstaub (PM2.5 und PM10), Stickstoffdioxid NO2, Ozon O3, Schwefeldioxid SO2 und Kohlenmonoxid CO. 15 Jahre nach den zuletzt veröffentlichten und bislang gültigen Leitlinien bündelt sie seitdem hinzugewonnene wissenschaftliche Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen Luftqualität und gesundheitlichen Folgen. So liegt inzwischen eindeutige Evidenz vor, dass sich die negativen gesundheitlichen Auswirkungen von Luftverschmutzung bei noch niedrigeren Konzentrationen als bisher angenommen zeigen. Zum ersten Mal formuliert die WHO auch Empfehlungen für Langzeitbelastung mit Ozon sowie für die Tagesbelastungen mit NO2 und Kohlenmonoxid.“
Das ausführliche Dossier des Science Media Center inklusive Statements von 14 internationalen Expertinnen und Experten finden Sie unter:
Statement von Prof. Dr. Hartmut Herrmann
Leiter der Abteilung Chemie der Atmosphäre, Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS), Leipzig
https://www.tropos.de/institut/ueber-uns/mitarbeitende/hartmut-herrmann
„Ich kommentiere die neuen WHO-Leitlinien als lange erwarteten und überraschend großen und wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Ich hätte tatsächlich nicht so starke Reduzierungen der Richtwerte erwartet, bin aber positiv überrascht, da ich doch nur kleinere Verschärfungen erwartet hatte. Dieses Muster trifft meines Erachtens auf alle neuen WHO-Leitlinien zu.“
„Die WHO-Richtwerte für die einzelnen Komponenten müssen bei der praktischen politischen Umsetzung die Anstrengungen steuern und sind die anzustrebenden Ziele. Dieses war auch bei der letzten Generation der WHO-Leitlinien so, wo man zum Beispiel im Bereich des NOx im Großen und Ganzen die WHO-Vorgaben in Deutschland einhalten konnte. Diese neue Generation von Richtwerten setzt die Messlatte deutlich höher und wird weitere, substanzielle Maßnahmen zur weiteren Verbesserung der Luftqualität erfordern. Die neuen Messwerte sollten uns von der Einschätzung ‚mission completed‘ in Deutschland und Europa schützen, denn neuere Modellierungen zeigen eine erhebliche Exzess-Mortalität und Morbidität in Europa (und weltweit), die klar auf die einzelnen Komponenten der Luftverschmutzung zurückzuführen sind. Die Reinhaltung der Luft ist weiterhin eine wichtige Mission für Wissenschaft, Wirtschaft und Gesetzgeber in Deutschland, Europa und weltweit. Die WHO setzt dazu ein starkes und sehr begrüßenswertes Zeichen.“
„Ich meine, die Politik soll versuchen, den Vorgaben so gut als möglichst nahe zu kommen, dabei aber einen tragfähigen Kompromiss zwischen sinnvollen Luftreinhaltevorgaben und den finanziellen Belastungen der Emittenten zu erreichen. Eine derart starke Absenkung wie bei den Stickoxiden birgt natürlich die Gefahr, dass geäußert wird, jene könnte am Industriestandort Deutschland niemals erreicht werden. Jede Änderung jenseits der bisherigen Grenzwerte ist aber ein Schritt in die richtige Richtung – man kann bei den Luftschadstoffen bei keiner der Zielsubstanzen von einer unteren Grenzkonzentration ohne Wirkung (‚Predicted No Effect Concentration (PNEC))‘ ausgehen.“
„Die nun erheblich verschärften Werte für PM2.5 und PM10 sollten eine Handhabe bieten, um Abhilfe zu schaffen, wenn einzelne oder wenige Verschmutzer die Luftqualität in einem Zielgebiet stark verschlechtern. Dafür sind viele Beispiele bekannt, zum Beispiel wird durch ungefilterte Rauchemission bei Hausbrand von Festbrennstoffen und insbesondere Holz die Luftqualität sehr beeinträchtigt. Die gegenwärtig gültigen PM-Grenzwerte mit 20 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmittel und 50 Mikrogramm pro Kubikmeter im Tagesmittel für PM10 (und die Hälfte für PM2.5) gaben hier nicht genug Handhabe zur Verbesserung der Situation. Neue, den neuen WHO-Richtwerte folgende Grenzwerte sollten hier die Situation verbessern.“
„Ich vermisse den Richtwert für Benzo(a)pyren, der sich in Deutschland sehr bewährt hat und ein guter Indikator für die Gesundheitsgefährdung aus der Verbrennung zum Beispiel von Holz ist. Gegenstand der Forschung ist die gesundheitliche Wirkung der vielen organischen Partikelinhaltsstoffe, die aus primären und sekundären Quellen stammend Bestandteile von PM2.5 und PM10 sind. Diese Substanzen werden intensiv untersucht. Die Wirkung von Ko-Expositionen ist ebenfalls ein komplexes Forschungsthema, Effekte können dadurch verstärkt werden, daher ist die Absenkung der WHO-Richtwerte auch im Hinblick darauf auf jeden Fall sinnvoll. Die Atmosphärenforschung identifiziert und quantifiziert solche Risiken, die zukünftig Eingang in WHO-Richtwerte finden können.“
Auf die Frage, inwiefern die recht langen Zeiträume zwischen den Aktualisierungen der Leitlinien ausreichend sind:
„Die Zeitspanne seit 2005 erscheint mir tatsächlich auch zu lang. Eine höhere Frequenz der Diskussion und gegebenenfalls Anpassung und Nachführung der WHO-Leitlinien und der folgenden Grenzwerte wäre durchaus sinnvoll und wünschenswert.“
Statement von Prof. Dr. Alfred Wiedensohler
Leiter des World Calibration Centre for Aerosol Physical (WCCAP) der WMO und Gruppenleiter Kalibrierungszentrum, Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS), Leipzig
https://www.tropos.de/institut/ueber-uns/mitarbeitende/alfred-wiedensohler
„Die empfohlenen Werte für die Standardluftschadstoffe wurden, basierend auf neueren Erkenntnissen, durchweg gesenkt. Diese Werte sind jedoch für viele Länder in Asien, Südamerika und Afrika sehr ambitioniert.“
„Die WHO war nicht so mutig, an dieser Stelle einen neuen Standardluftschadstoff mit einem Grenzwert in dieser Liste aufzunehmen. Die wissenschaftliche Community hätte zumindest den schwarzen beziehungsweise elementaren Kohlenstoff (BC/EC) als gesundheitsrelevanten Teil von Feinstaub PM2.5 erwartet. Ob dies nun eine rein wissenschaftliche oder eine politische Entscheidung war, ist rein spekulativ. Fakt ist: Unvollständige Verbrennung ist weltweit ein großes Problem und BC/EC ist ein guter Indikator für die das Gesundheitsrisiko.“
„Es war allerdings zu erwarten, dass für die ultrafeine Partikel (UFP) kein Grenzwert empfohlen wird.“
„Schwarzer beziehungsweise elementarer Kohlenstoff (BC/EC) und ultrafeine Partikel (UFP) werden jedoch extra erwähnt und es wurden eigene Empfehlungen dafür abgegeben.“
„Für schwarzen beziehungsweise elementaren Kohlenstoff wird in der Tat empfohlen, Messungen durchzuführen, ohne dabei andere Messungen einzuschränken. Das ist zumindest eine Empfehlung in die richtige Richtung. Zudem sollen Emissions- und Quellenzuordnungen durchgeführt werden. Dies ist natürlich weit weg von einer verpflichtenden Messung.“
„In Bezug auf ultrafeine Partikel ist es gut, dass Partikelanzahlkonzentrationsmessungen für größer zehn Nanometer empfohlen werden. Das entspricht einer kommenden EU-Norm und dem was in der europäischen wissenschaftlichen Infrastruktur ACTRIS verpflichtend gemessen werden soll. Es werden weiterhin Erhebungen von Anzahlgrößenverteilungen an ausgewählten Stationen empfohlen. Das ist ebenfalls die Strategie von ACTRIS – und auch vom deutschen ultrafeinen Aerosol-Netzwerk, GUAN. Diese Empfehlung ist ein großer Fortschritt für die wissenschaftliche Community. Allerdings ist fraglich, ob dies international überhaupt wegen der Kosten und des mangelnden Knowhows umgesetzt werden kann. Die Messungen wären hilfreich für die Quellzuordnungen.“