Wie erwärmen Eiswolken die Arktis?
Leipzig,
22.07.2021
TROPOS-Forschende an aktueller HALO-Mission beteiligt
Leipzig/Oberpfaffenhofen. Die Arktis erwärmt sich stärker als andere Regionen der Erde. Wie tragen arktische Eiswolken konkret dazu bei? Kondensstreifen-Zirren haben eine größere Klimawirkung in der Bilanz des Luftverkehrs als Kohlendioxid. Bei welchen Wettersituationen lassen sie sich vermeiden und zu welcher Tageszeit wirken sie möglichst wenig wärmend für eine klimafreundliche Flugplanung? - Diesen Fragen gehen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Leipzig zusammen mit anderen Forschungseinrichtungen jetzt auf den Grund. Sie fliegen mit dem Forschungsflugzeug HALO mit umfangreicher Wolkenmessinstrumentierung von Mitteleuropa bis in die Arktis. Rund 25 Flüge sind geplant. Schwerpunkte sind die Themen Luftfahrt, Atmosphärenforschung und klimafreundliches Fliegen.
Je nach Sonnenstand, Tageszeit und Eigenschaften wirken die dünnen hohen Zirruswolken in der Arktis überwiegend wärmend. Bislang gibt es allerdings kaum direkte Zirren-Messungen in hohen Breiten und Klimamodelle berücksichtigen diese unzureichend. Im Juli 2021 fliegt das deutsche Forschungsflugzeug HALO unter anderem in Richtung Nordeuropa und Arktis. Ziel ist es, den Beitrag der Zirruswolken zur besonders starken Erwärmung dieser Region besser zu verstehen. Zudem nimmt das 70-köpfige Forschungsteam die Effekte des Luftverkehrs im stark beflogenen Mitteleuropa in den Blick. Die Forschenden untersuchen, zu welcher Tageszeit die Kondensstreifen-Zirren möglichst wenig wärmen und ob sie sich in bestimmten Wettersituationen vermeiden lassen. Dies könnte für eine zukünftige klimafreundliche Flugplanung von enormem Wert sein. Neben dem Leipziger Institut für Meteorologie (LIM) der Universität Leipzig und dem Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) sind sieben weitere Atmosphärenforschungsinstitute und Universitäten an der Mission CIRRUS-HL (CIRRUS in High Latitudes) beteiligt. Ausgangspunkt ist der Standort Oberpfaffenhofen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).
„Die kalten hohen Eiswolken werden durch anthropogene Schadstoffe und den Luftverkehr verändert. Welche Rolle sie für die verstärkte Erwärmung der Arktis spielen, ist eine bislang ungeklärte Frage“, sagt die wissenschaftliche Koordinatorin der Mission, Prof. Christiane Voigt vom DLR-Institut für Physik der Atmosphäre und der Universität Mainz. „Zudem ist die Reduzierung der Klimawirkung des Luftverkehrs ein sehr aktuelles Forschungsthema. Wegen ihrer relativ kurzen Lebensdauer ist die Verringerung und Vermeidung von Kondensstreifen-Zirren ein vielversprechender Ansatz, um den Luftverkehr klimafreundlich zu gestalten.“
Insgesamt sind rund 25 HALO-Flüge im Rahmen von CIRRUS-HL geplant. „Die Flugrouten verlaufen in acht bis 14 Kilometer Höhe unter anderem bis in die Nähe von Spitzbergen und Grönland, aber auch über Zentraleuropa, Spanien, Skandinavien und Island“, sagt Andreas Minikin von der DLR-Einrichtung Flugexperimente, die für den Betrieb von HALO, einer Gulfstream G550, verantwortlich ist. Das Flugzeug trägt für die Mission eine umfangreiche Messinstrumentierung zur Fernerkundung von Wolken und Kondensstreifen.
Beim Flug in die Zirruswolken und Kondensstreifen werden deren Eispartikel gesammelt, verdunstet und die darin befindlichen Aerosolpartikel auf unterschiedlichste Weise analysiert. Dies wird durch den Einsatz eines speziellen Wolken-Einlasses, dem sogenannten HALO-CVI des TROPOS ermöglicht, für den ein hoher technischer Aufwand betrieben wurde, um ihn - im Gegensatz zu allen anderen HALO-Einlässen - auf der Flugzeugunterseite zu installieren. „Durch die mikrophysikalische und chemische Charakterisierung der Aerosolpartikel, die sich in den Eiskristallen befinden, können wir wichtige Erkenntnisse über die Entstehung der untersuchten Wolken gewinnen. Und das umso eindeutiger seitdem es gelungen ist, unseren Einlass an der Flugzeugunterseite zu realisieren, weil hier die Anströmung vom Flugzeug selbst nicht gestört wird“, erklärt Dr. Stephan Mertes vom TROPOS, der den HALO-CVI entwickelt hat. Außerdem wird bei CIRRUS-HL erstmalig ein spezieller Filtersammler (HERA4HALO) eingesetzt, der ebenfalls am TROPOS für das Forschungsflugzeug HALO entwickelt wurde. Durch eine spezielle Automatisierung können mehrere Aerosolproben während eines Fluges gesammelt werden (z.B. getrennt nach Flughöhe, Region oder in und außerhalb von Wolken). Diese Aerosolproben werden später im Leipziger Wolkenlabor auf die Anzahl potentieller Eiskeime (INP) untersucht, was ebenfalls zum besseren Verständnis der Bildung von den während CIRRUS-HL untersuchten Eiswolken beiträgt. Die Forschungsflüge werden durch Satellitenbeobachtungen und Simulationen mit Computermodellen ergänzt.
Kondensstreifen-Zirren
Kondensstreifen und daraus resultierende Eiswolken tragen mehr zum Klimaantrieb durch den Luftverkehr bei als dessen Kohlendioxid-Emissionen seit Anbeginn der Luftfahrt. Flugzeugtriebwerke stoßen unter anderem Rußpartikel aus. Diese wirken als Kondensationskeime für kleine unterkühlte Wassertropfen, die sofort zu Eiskristallen gefrieren und als Kondensstreifen am Himmel sichtbar werden. Die Eiskristalle der Kondensstreifen können bei feucht-kalten Bedingungen in Höhen von etwa 8 bis 12 Kilometern mehrere Stunden bestehen.
In der aktuellen Mission messen die Forschenden, wieviel Wärmestrahlung der Erde von den Kondensstreifen-Zirren in der Atmosphäre gehalten wird und wieviel Sonnenstrahlung sie in den Weltraum zurück reflektieren. Daraus wollen die Wissenschaftler genauer bestimmen, zu welcher Tageszeit die kühlende Wirkung durch Reflektion der Sonnenstrahlung am größten ist. Zudem wollen sie genauer verstehen, bei welchen Wetterbedingungen Kondensstreifen besonders stark auftreten. Aktuelle Studien haben gezeigt, dass nur eine geringe Anzahl von Flugrouten für etwa 80 Prozent des Klimaantriebs der Kondensstreifen verantwortlich ist. Ziel der HALO-Messungen ist es, die Vorhersage von solchen Routen zu verbessern. Dies hilft, zukünftig klimaschonende Flugrouten zu planen, die entweder die Kondensstreifen-Bildung umgehen oder diese nur zulässt, wenn die kühlende Wirkung überwiegt.
Arktische Zirren
Angelehnt an den vom LIM koordinierten Sonderforschungsbereich TRR 172 „Arktische Verstärkung“, liegt der Fokus der Leipziger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf den Arktische Zirren. Natürliche Eiswolken entfalten in den hohen Breiten der Arktis durch den flachen Sonnenstand vor allem eine wärmende Wirkung. Die Wärmestrahlung von der Erdoberfläche wird durch Eiswolken wie von einem wärmenden Schal in der Atmosphäre zurückgehalten. Messungen von Eiswolken in großen Höhen in der wenig bewohnten Arktis sind eine Herausforderung. Daher gibt es so wenige experimentelle Daten in dieser Region. „Wir sind gespannt, welche Anzahl, Größe und Formen an Eiskristallen wir in diesen Wolken messen werden“, erklärt Prof. Voigt. „Die Eigenschaften der Eiskristalle haben eine deutliche Auswirkung auf ihren Strahlungsantrieb.“
Kleine Eiskristalle - große Klimawirkung
Bereits im Rahmen der Vorgängermission ML-CIRRUS (Mid-Latitude CIRRUS) zeigte sich, dass die Eiskristalle natürlicher Zirruswolken im Mittel mehr als zehnmal so groß sind wie die Eiskristalle in Kondensstreifen-Zirren (2-10 Mikrometer). Dabei ist die Anzahl der Eiskristalle in Kondensstreifen-Zirren deutlich höher und damit auch ihre Klimawirkung gegenüber natürlichen Zirrus-Wolken mit demselben Eiswassergehalt. Nun erwarten die Forschenden auch bei den Partikelformen Unterschiede zwischen Kondensstreifen und natürlichen Zirren.
CIRRUS-HL: Gemeinsame Mission vieler Forschungsinstitute
Die Finanzierung von CIRRUS-HL erfolgt anteilig durch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) innerhalb des Infrastruktur-Schwerpunktprogramms für HALO (SPP 1294) mit den Universitäten Leipzig, Mainz und München (LMU), das Max-Planck-Institut für Chemie (MPI-C), das Forschungszentrum Jülich (FZJ), das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) sowie durch das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS). Gezielte Wettervorhersagen werden von der Eidgenössischen Technische Hochschule (ETH) in Zürich entwickelt. Ergebnisse der aktuellen Mission CIRRUS-HL werden 2022 erwartet.
Über HALO
Das Forschungsflugzeug HALO (High Altitude and Long Range Aircraft) ist eine Gemeinschaftsinitiative deutscher Umwelt- und Klimaforschungseinrichtungen. Gefördert wird HALO durch Zuwendungen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der Helmholtz-Gemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), der Leibniz-Gemeinschaft, des Freistaates Bayern, des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), des Forschungszentrums Jülich und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Falk Dambrowsky/Susann Huster/Tilo Arnhold
Weitere Informationen:
Dr. Stephan Mertes / Dr. Frank Stratmann / Dr. Sarah Grawe
Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS)
Telefon: +49-341-2717-7143, -7142, -7351
www.tropos.de/institut/ueber-uns/mitarbeitende/stephan-mertes
www.tropos.de/institut/ueber-uns/mitarbeitende/frank-stratmann
https://www.tropos.de/institut/ueber-uns/mitarbeitende
Links:
Pressemitteilung des DLR:
https://www.dlr.de/content/de/artikel/news/2021/03/20210722_eiswolken-waermen-die-arktis
CIRRUS-HL
https://halo-research.de/sience/previous-missions/cirrus-hl/
https://cirrus-hl.de/
TROPOS auf HALO:
https://www.tropos.de/forschung/grossprojekte-infrastruktur-technologie/verbundprojekte/halo
Virtueller Gegenstrom-Impaktor (CVI)
https://www.tropos.de/forschung/grossprojekte-infrastruktur-technologie/technologie-am-tropos/physikalische-instrumente/virtueller-gegenstrom-impaktor-cvi
TROPOS-Instrumente auf HALO während CIRRUS-HL
Hera4HALO = Hochvolumen-Partikel-Sammler (Eigenschaften von eisnukleierenden Partikeln und die chemische Zusammensetzung von Aerosolen) / Stratmann/Herrmann/Grawe, TROPOS
HALO-CVI = Gegenstrom-Impaktor (Virtueller Impaktor-Einlass am unteren Rumpf mit CPC/UHSAS/PSAP für Anzahlkonzentration, Anzahlgrößenverteilung von 60 - 1000 nm, Absorptionskoeffizient, von Wolkenresiduen und Aerosolpartikeln) / Mertes, TROPOS
https://cirrus-hl.de/instruments
Das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft, die 96 selbständige Forschungseinrichtungen verbindet. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen.
Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit.
Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen - u.a. in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 20.000 Personen, darunter 10.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,9 Milliarden Euro. Finanziert werden sie von Bund und Ländern gemeinsam. Die Grundfinanzierung des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung (TROPOS) wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst (SMWK) getragen. Das Institut wird mitfinanziert aus Steuermitteln auf Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.
http://www.leibniz-gemeinschaft.de
https://www.bmbf.de/
https://www.smwk.sachsen.de/