Weshalb „Katzendreckgestank“ so schwer zu lokalisieren ist

Leipzig, 19.03.2012

Leipziger Forscher modellieren Ausbreitung der Geruchsbelastung im Erzgebirge

Leipzig. Luftschadstoffe reichern sich an der Südseite des Erzgebirges oft an bevor sie dann mit einiger Verzögerung vom nordböhmischen Industriebecken über den Kamm nach Sachsen „schwappen“. Diese geografische Besonderheit erschwert es häufig, die Herkunft des gefürchteten „Katzendreckgestanks“ im Einzelfall zu klären und bestimmten Havariefällen in tschechischen Chemiefabriken zuzuordnen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung (IfT). Im Auftrag des Sächsischen Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG) hatten die Wissenschaftler mit Transportmodellen die Ausbreitung der Schadstofffahnen verfolgt. Ihre Ergebnisse stellen die Forscher auf der Fachtagung METTOOLS vor, die vom 20. bis 22. März an der Universität Leipzig stattfindet.

 

Vor allem im Herbst und Winter treten seit Jahrzehnten in den grenznahen Gebieten Sachsens Geruchsbelastungen auf. Als Verursacher gelten die Industrieanlagen im benachbarten Tschechien. Im nordböhmischen Industrierevier unterhalb des Erzgebirges wird seit über 100 Jahren Braunkohle gefördert und verarbeitet. Dazu kam ab den 60er Jahren noch die Petrolchemie dazu. Beide verursachten enorme Luftbelastungen. Ab den 1990er Jahren wurden viele alte Industrieanlagen stillgelegt, Filter nachgerüstet oder moderne Anlagen errichtet. Der Schadstoffausstoß ging stark zurück. Allein die Schwefeldioxid-Emissionen sanken von 1999 bis 2004 um 91 Prozent. Der Wald auf dem Erzgebirgskamm erholte sich wieder.

 

Die Anzahl der Beschwerden sank dadurch langfristig. Dennoch sorgt der so genannte "Katzendreckgestank" bei Bewohnern des Erzgebirges und Vogtlands von Zeit zu Zeit immer noch für Unmut. Ursache dafür sind vermutlich Schwefelverbindungen im Rohöl, die zusammen mit Rauchgasen den unangenehmen Geruch verursachen. Im Sommer 2010 hatten Vertreter der "Bürgerinitiative für saubere Erzgebirgsluft" in Brüssel rund 11.000 Unterschriften an das EU-Parlament übergeben, um gegen die Situation zu protestieren. 2011 waren sechs mal mehr Beschwerden als im Vorjahr eingangen. Bis zum 9. November wurden an 87 Tagen 360 Beschwerden über Geruchsbelästigungen bei den Behörden registriert. Hauptursache waren lang anhaltende Hochdruckwetterlagen mit niedrigen Windgeschwindigkeiten im Oktober und November. Der Freistaat Sachsen hat daher ein Sondermessprogramm aufgelegt und auch die Troposphärenforscher in Leipzig beauftragt.

 

Die Wissenschaftler des IfT untersuchten nun die Ausbreitung der Luftschadstoffe mit Hilfe von Computermodellen, die die vorhandenen Strömungen und die Abluftfahnen der Verursacher sichtbar machen. 2010 wurden an 26 Tagen insgesamt 60 Beschwerden registriert. Über die Hälfte davon entfielen auf den 10. November 2010. An diesem Tag kam es in der Nahe von Karlovy Vary (Karlsbad) zu einem Zwischenfall im Druckgaswerk Vresova, von dem sich eine Geruchswolke später nach Norden und Osten über das Erzgebirge Richtung Sachsen ausbreitete. "Dabei zeigte sich, dass der Wind zunächst aus Westen kam und sich die Luftmassen am Boden des Egertales anstauten, bevor der Wind dann auf Südwest drehte und die emissionsbelastete Luft über den Gebirgskamm nach Sachsen "herüberschwappte", erklärt Michael Jähn vom IfT. Zwar ist es allein mit den Computermodellen nicht möglich, einen Verursacher zu überführen, da die Geruchsstoffe meist nicht auf direktem Weg von der Industrieanlage zu den betroffenen Gemeinden ziehen, sondern viele Quellen die Schadstoffwolke vorher anreichern können. "Die Nutzung von diesen Trajektorienmodellen zusammen mit Traceranalysen kann aber helfen, die Schadstoffquellen zu ermitteln, die die Geruchsbelästigungen im Erzgebirge und Vogtland verursachen", betont Dr. Beate Sändig vom IfT, die zusammen mit ihren Kollegen das dreidimensionale Transportmodell, das auch schon zur Verfolgung von Saharastaub genutzt wurde, auf die Situation im deutsch-tschechischen Grenzgebiet angepasst hat. Die Ergebnisse der Computermodellierung unterstreichen, dass es besonders dann zu Geruchsbelästigungen kommen kann, wenn sich Temperaturinversionen auflösen und/oder zunehmender Wind dafür sorgt, dass die mit Schadstoffen angereicherte Luft aus dem Böhmischen Becken über den Erzgebirgskamm nach Sachsen strömt.

Tilo Arnhold

 

Publikation:

Michael Jähn, Beate Sändig, Ralf Wolke, Eberhard Renner (2012): Ermittlung der Quellen von Gerüchen und hohen Schadstoffkonzentrationen im Erzgebirge über die Modellierung der Luftmassenbahnen. METTOOLS VIII & IfT-Zwei-Jahresbericht 2010/2011.

http://www.tropos.de/news/ift_pubber.html

Die Untersuchungen wurden vom Sächsischen Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG) gefördert.

 

Weitere Infos:

Michael Jähn, Dr. Beate Sändig, Dr. Ralf Wolke

Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (IfT), Abteilung Modellierung

Tel. 0341-235-3428, -2444, -2860

http://www.tropos.de/ift_personal.html

 

Links:

8. Fachtagung METTOOLS des Fachausschusses Umweltmeteorologie und des Instituts für Meteorologie der Universität Leipzig (Leipzig, 20. - 22. März 2012): http://www.dmg-ev.de/fachausschuesse/umet/PDF/METTOOLS_VIII_Programm-update-06022012.pdf

Geruchsbelastung im Erzgebirge und Vogtland: http://www.umwelt.sachsen.de/umwelt/luft/3647.htm

SMUL-Berichte zur Geruchsbelastung: http://www.umwelt.sachsen.de/umwelt/luft/6479.htm

Aktuelle Messwerte aus Sachsen: http://www.umwelt.sachsen.de/umwelt/infosysteme/luftonline/uebersicht.aspx

Aktuelle Messwerte aus Tschechien: http://portal.chmi.cz/files/portal/docs/uoco/web_generator/actual_hour_data_CZ.html

http://www.ecmost.cz/ovzdusi.php

Außerordentliche Schadensfälle: http://www.ecmost.cz/index_n.php

 

Braunkohlekraftwerk Komorany bei Most (Brüx). Im Hintergrund ist der Erzgebirgskamm zu sehen, der eine Barriere bildet. Die Orte um Seiffen, in denen gelegentlich über den “Katzendreckgestank” geklagt wird, sind nur rund 15 Kilometer entfernt. Bei Inversionswetterlagen können die Hänge und die Luftschichtung wie ein Topf wirken, dessen Deckel erst wieder angehoben wird, wenn sich die Wetterlage ändert. Dann kann die Schadstoffwolke plötzlich von Tschechien nach Sachsen “hinüberschappen”.
Foto: Tilo Arnhold/IfT

Litvinov bei Most (Brüx) ist durch seine Chemieindustrie ein potenzieller Hotspot für Luftverschmutzung. Seit den 1920er Jahren wird hier Kohle abgebaut, die in Tschechien immer noch die Stromerzeugung dominiert. Mit dem Kohleabbau entstand am Fuß des Erzgebirges in der sozialistischen CSSR ein großes Industrierevier.
Foto: Tilo Arnhold/IfT