Neue Substanzklasse in der Atmosphärenchemie nachgewiesen
Leipzig,
26.05.2022
Internationales Team berichtet über hochoxdierte Hydrotrioxide (ROOOH) in SCIENCE
Leipzig/Kopenhagen/Pasadena. Einem internationalen Team ist jetzt erstmals der Nachweis von Hydrotrioxiden (ROOOH) unter atmosphärischen Bedingungen gelungen. Bisher gab es nur Spekulationen, dass diese organischen Verbindungen mit der ungewöhnlichen OOOH-Gruppe existieren würden. In Laborversuchen konnte eindeutig deren Bildung bei der Oxidation wichtiger Kohlenwasserstoffe, wie des Isoprens und a-Pinens, gezeigt werden. Mittels quantenchemischer Rechnungen und Modelrechnungen konnten wichtige Daten zu dieser neuen Substanzklasse abgeschätzt werden: So werden pro Jahr werden etwa 10 Millionen Tonnen davon in der Erdatmosphäre ausgehend vom Isopren gebildet. Die Lebensdauer der ROOOHs wird auf Minuten bis Stunden geschätzt. Hydrotrioxide stellen eine bisher nicht beachtete Stoffklasse in der Atmosphäre dar, deren Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt untersucht werden müssen, schreiben die Forschenden unter Leitung des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung (TROPOS) in der aktuellen Ausgabe des renommierten Wissenschaftsjournals SCIENCE.
Die untere Schicht unserer Erdatmosphäre ist ein großer chemischer Reaktor, in dem jährlich mehrere 100 Millionen Tonnen an Kohlenwasserstoffen umgesetzt werden, was letztendlich zur Bildung von CO2 und Wasser führt. Diese Kohlenwasserstoffe werden durch Wälder freigesetzt oder sind menschengemacht. Dabei kommt es zu verschiedensten Oxidationsprozessen, von denen bisher nur ein Teil gut verstanden ist. Neu im Fokus der Atmosphärenforschung sind unter anderem Hydrotrioxide (ROOOH). Das sind gasförmige Substanzen mit einer Gruppe, die aus drei aufeinanderfolgenden Sauerstoffatomen “O“ und einem Wasserstoffatom “H“ besteht, welche an einem kohlenstoffhaltigen Rest (R) gebunden ist. Hydroperoxide (ROOH) mit zwei Sauerstoffatomen sind bereits lange bekannt und nachgewiesen. In der Literatur wurde bisher spekuliert, dass es nicht nur Substanzen mit zwei Sauerstoffatomen (ROOH), sondern auch mit drei Sauerstoffatomen (ROOOH) in der Atmosphäre geben könnte. In der organischen Synthese werden Hydrotrioxide verwendet, um spezielle oxidierte Produkte bei der Reaktion mit Alkenen zu bilden. Allerdings werden diese reaktiven und thermisch instabilen Hydrotrioxide dort in organischen Lösungsmitteln bei sehr niedrigen Temperaturen um -80°C hergestellt und weiter umgesetzt. Ob diese Substanzklasse auch als Gas in der Atmosphäre bei deutlich höheren Temperaturen existiert, war bis jetzt unbekannt.
In ihrer Studie konnten Forschende des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung (TROPOS), der Universität Kopenhagen und des California Institute of Technology (Caltech) nun erstmal den direkten Nachweis erbringen, dass die Bildung von Hydrotrioxiden auch unter atmosphärischen Bedingungen aus der Reaktion von Peroxyradikalen (RO2) mit Hydroxylradikalen (OH) stattfindet. Die Laboruntersuchungen fanden hauptsächlich am TROPOS in Leipzig in einem Freistrahl-Strömungsrohr bei Raumtemperatur und einem Druck von 1 bar Luft statt – verbunden mit dem Einsatz von sehr empfindlichen Massenspektrometern. Zusätzliche experimentelle Informationen, besonders zur Stabilität der Hydrotrioxide, erbrachten die Untersuchungen am Caltech. Von der Universität Kopenhagen kamen quantenchemische Berechnungen, um die Reaktionsmechanismen sowie die Temperatur- und Photostabilität von Hydrotrioxiden zu beschreiben. Globale Simulationen vom TROPOS mit dem Chemie-Klimamodell ECHAM-HAMMOZ ermöglichten eine erste Bewertung der Auswirkungen auf die Erdatmosphäre.
„Es ist wirklich aufregend, die Existenz einer neuen allgemeingültigen Klasse von Verbindungen zu zeigen, die aus atmosphärisch häufig vorkommenden Vorläufern (RO2 und OH Radikale) gebildet wird“, berichtet Prof. Henrik G. Kjærgaard von der Universität Kopenhagen. „Dabei ist sehr erstaunlich, dass diese interessanten Moleküle mit einem so hohen Sauerstoffanteil so stabil sind. Weitere Forschung ist erforderlich, um die Rolle der Hydrotrioxide für die Gesundheit und die Umwelt zu ermitteln“, unterstreicht Dr. Torsten Berndt vom TROPOS. „Unsere Studie hat gezeigt, dass die direkte Beobachtung von Hydrotrioxiden mit Hilfe der Massenspektrometrie machbar ist. Damit besteht jetzt die Möglichkeit, diese Verbindungen in verschiedenen Systemen weiter zu untersuchen sowie deren eventuelle Quantifizierung in der Atmosphäre.“, erklärt Prof. Paul O. Wennberg vom Caltech.
Welche Bedeutung, der jetzt gelungene Nachweis der neuen Substanzklasse “Hydrotrioxide“ hat, wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen. Mit dem experimentellen Nachweis und den derzeitigen Kenntnissen sind aber erste Grundlagen gelegt, die auch das Interesse bei anderen Forschergruppen wecken sollen. Tilo Arnhold
Publikation:
Torsten Berndt, Jing Chen, Eva R. Kjærgaard, Kristian H. Møller, Andreas Tilgner, Erik H. Hoffmann, Hartmut Herrmann, John D. Crounse, Paul O. Wennberg, Henrik G. Kjaergaard (2022): Hydrotrioxide (ROOOH) formation in the atmosphere. SCIENCE, 27 May 2022. DOI: 10.1126/science.abn6012
https://www.science.org/stoken/author-tokens/ST-525/full
Förderung:
Independent Research Fund Denmark (9040-00142B), High Performance Computing Center at the University of Copenhagen, German Research Foundation (DFG project ORIGAMY, no. 447349939). US National Science Fund (CHE-1905340), Alfred P. Sloan Foundation (no. G-2019-12281).
Kontakte:
Dr. Torsten Berndt
Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Abteilung Chemie der Atmosphäre, Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS), Leipzig, Deutschland
Tel. +49-341-2717-7032
https://www.tropos.de/institut/ueber-uns/mitarbeitende/torsten-berndt
und
Prof. Henrik G. Kjærgaard
Department of Chemistry, University of Copenhagen, Dänemark
Phone: +45 3532 0334
https://chem.ku.dk/research_sections/physchem/kjaergaardgroup/
und
Prof. Paul O. Wennberg
Division of Geological and Planetary Sciences, California Institute of Technology, Pasadena, CA, USA
Phone: +1 626 395 2447
http://web.gps.caltech.edu/~wennberg/
oder
Tilo Arnhold
Öffentlichkeitsarbeit, TROPOS
Tel. +49-341-2717-7189
http://www.tropos.de/aktuelles/pressemitteilungen/
Links:
TROPOS: Laborexperimente zu troposphärischen Multiphasenprozessen
https://www.tropos.de/institut/abteilungen/chemie-der-atmosphaere/laborexperimente/laborexperimente-zu-troposphaerischen-multiphasenprozessen
TROPOS: Multiphasenmodellierung
https://www.tropos.de/institut/abteilungen/chemie-der-atmosphaere/multiphasenmodellierung/multiphasenmodellierung
Neue Erkenntnisse zur größten natürlichen Schwefelquelle in der Atmosphäre (Pressemitteilung, 18.11.2019):
https://www.tropos.de/aktuelles/pressemitteilungen/details/neue-erkenntnisse-zur-groessten-natuerlichen-schwefelquelle-in-der-atmosphaere
Erste Zwischenprodukte der Reaktionen vom „Waschmittel der Atmosphäre“ direkt nachweisbar (Pressemitteilung, 15.05.2019):
https://www.tropos.de/aktuelles/pressemitteilungen/details/erste-zwischenprodukte-der-reaktionen-vom-waschmittel-der-atmosphaere
Das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft, die 97 selbständige Forschungseinrichtungen verbindet. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen.
Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit.
Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen - u.a. in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 20.500 Personen, darunter 11.500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Das Finanzvolumen liegt bei 2 Milliarden Euro. Finanziert werden sie von Bund und Ländern gemeinsam. Die Grundfinanzierung des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung (TROPOS) wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst (SMWK) getragen. Das Institut wird mitfinanziert aus Steuermitteln auf Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.
http://www.leibniz-gemeinschaft.de
https://www.bmbf.de/
https://www.smwk.sachsen.de/