Neue Gasphasenverbindungen bilden organische Partikelbestandteile

Leipzig, 26.02.2014

Helsinki/Jülich/Leipzig. Wissenschaftlern ist ein wichtiger Schritt gelungen, um die Zusammenhänge zwischen Vegetation und Klima besser zu verstehen. In Feld- und Laborexperimenten in Finnland und Deutschland konnten erstmals sogenannte extrem schwerflüchtige Dämpfe nachgewiesen werden, die von Pflanzen produziert werden. Über dieses neue Glied in der Reaktionskette bei der Bildung von Wolken berichtet ein internationales Forscherteam in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals NATURE. Die neuen Erkenntnisse könnten helfen, die Auswirkungen von Emissionen der Vegetation auf Luftqualität und Klima besser zu verstehen.

 

Wälder geben große Mengen an flüchtigen organische Verbindungen (VOCs) ab. Deren Reaktionsprodukte bilden das so genannte sekundäre organische Aerosol. Dabei werden Gase zu Partikeln gewandelt, die die Sonnenstrahlung reflektieren oder als Keime für Wolkentropfen fungieren. Prozesse, die großen Einfluss auf das Klima haben und daher von besonderem wissenschaftlichen Interesse sind. Allerdings sind die Modellrechnungen bisher sehr ungenau, da es noch große Wissenslücken dabei gibt, welche Rolle die von den Pflanzen abgegebenen Verbindungen beim Übergang zwischen gasförmigem und festem Aggregatzustand genau spielen. So lange diese Prozesse aber nur unzureichend verstanden sind, fällt es schwer, genaue Prognosen zu machen. Eine Unsicherheit, die sich auch auf sämtliche Klimamodelle auswirkt.

 

Große Unsicherheiten bestehen vor allem über das Wachstum von neugebildeten Partikeln hin zu Wolkenkeimen, an denen Wasser kondensiert und dadurch die Wolkenbildung beginnt. Das Wachstum in diesem Bereich zwischen etwa drei und einhundert Nanometern würde schwerflüchtige organische Dämpfe erfordern, wurde bisher spekuliert. Diese extrem schwer flüchtigen organischen Verbindungen - auf Englisch „extremely low-volatility organic compounds (ELVOC)“ genannt - konnten bisher kaum nachgewiesen werden und deren mögliche Bildungswege sind sehr spekulativ. Der Nachweis nun wurde erst durch Fortschritte in der Messtechnik möglich. Bisher konnten sie nicht gemessen werden, da diese Verbindungen sehr kurzlebig sind. Sobald diese Moleküle an Oberflächen stoßen, bleiben sie dort haften und entziehen sich dem analytischen Nachweis. Um dies zu verhindern, werden sie direkt unter atmosphärischen Bedingungen ionisiert, das heißt eine elektrische Ladung sorgt wie bei einem Magnet für ein „Hineinsaugen“ des nun ionisierten ELVOC-Moleküles in den Sensor, wo der Nachweis stattfindet. Diese neue, besonders leistungsfähige Analysemethode mit Massenspektrometern wird CI-APi-TOF (chemical ionization source coupled to an atmospheric pressure interface time-of-flight mass spectrometer).

 

Die jetzt veröffentlichte Studie von Wissenschaftlern aus Finnland, Deutschland, den USA und Dänemark besteht aus mehreren Teilen. Die Feldmessungen fanden an der Messstation der Universität Helsinki im südfinnischen Hyytiäla statt, die typisch für die borealen Wälder ist, die acht Prozent der Erdoberfläche bedecken. Der Großteil der Studie fand jedoch im Labor des Forschungszentrums Jülich statt. Die Jülich Plant Atmosphere Chamber (JPAC) ist eine 1,5 Kubikmeter große Glaskammer, in der die Experimente bei konstanter Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Beleuchtung unter realitätsnahen Bedingungen durchgeführt werden konnten. “Wir haben uns dabei auf das α-Pinen konzentriert, weil dieses etwa die Hälfte der globalen Monoterpen-Emissionen ausmacht”, umschreibt Erstautor und maßgeblicher Entdecker der ELVOCs Dr. Mikael Ehn von der Universität Helsinki die Bedeutung dieser Verbindungen, die jedem Waldbesucher als typischer Nadelgeruch in Erinnerung sind. „Uns ist der erste molekulare Nachweis einer direkten und allgegenwärtigen Quelle von ELVOCs gelungen, die in der Gasphase aus der Oxidation von Monoterpenen und anderen flüchtigen organischen Verbindungen entstehen.“ Dabei entstehen Dämpfe mit relativ großen Molekülen, die viele Wasserstoffatome sowie annähernd genauso viele Sauerstoff- wie Kohlenstoffatome enthalten. „Die Ergebnisse lassen vermuten, dass über 10 Prozent der umgesetzten flüchtigen organische Verbindungen zur Masse des sekundären organischen Aerosols über den Baumgipfel beitragen. Bisherige Schätzungen gingen von einem Anteil unter 5 Prozent aus. Das zeigt, dass die Rolle des Ozons bisher unterschätzt wird und wie viel Unsicherheit in den Klimamodellen an dieser Stelle noch steckt“, so der Erstautor. Mikael Ehn hat an dieser Studie über vier Jahre gearbeitet und ist froh, dass die Zusammenarbeit in dem großen Team nicht nur den Nachweis dieser neuen Verbindungen ermöglicht hat sondern auch eine Erklärung für den Mechanismus, der zur Bildung führt.

 

Dazu beigetragen haben auch die Messungen, die im Chemielabor des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung (TROPOS) in Leipzig durchgeführt wurden. Im laminaren Strömungsrohr ließen die Forscher den Nadelduft α-Pinen mit „normalem“ Ozon (16O3) und markiertem, schwereren Ozon (18O3) reagieren, um anschließend die Anteile der schweren Sauerstoffatome 18O im gebildeten ELVOC bestimmen zu können, „Diese Untersuchungen haben uns einen ersten Einblick in die Bildungsmechnismen dieser Verbindungen erlaubt und stellen die Grundlage für ein Reihe weiterführender Experimente dar“, erläutert Dr. Torsten Berndt vom TROPOS, dessen Chemiker seit Jahren Reaktionen des OH- und anderer Radikale untersuchen. Das Hydroxyl-Radikal besteht aus einem Wasserstoff- und einem Sauerstoffatom, ist eines der reaktionsfreudigsten Radikale in der Luft und wird daher gerne auch als das Waschmittel der Atmosphäre bezeichnet.

 

Die neuen Erkenntnisse tragen dazu bei, einen bedeutenden Teil der organischen Masse der Aerosol-Partikel in der Luft zu erklären, der die Wissenschaftlern bisher vor Rätsel gestellt hatte. Veränderungen im Verhältnis von Ozon zu OH könnten ein zusätzlicher Einfluss der Menschen auf die Atmosphäre sein und über die Bildung der neuen Gasart ELVOCs die Wolkenbildung und damit auch das Klima beeinflussen, schlussfolgern die Wissenschaftler. Die neuen Erkenntnisse werden helfen, den Anteil der Vegetation und damit von verschiedenen Landnutzungsformen auf das Klima genauer zu abzuschätzen. Dadurch können auch die Klimamodelle verbessert werden, die bisher das Wachstum von Nanopartikeln in borealen Regionen durch diese Verbindungen nicht ausreichend berücksichtigt hatten.

Tilo Arnhold

 

Publikation:

Mikael Ehn, Joel A. Thornton, Einhard Kleist, Mikko Sipila, Heikki Junninen, Iida Pullinen, Monika Springer, Florian Rubach, Ralf Tillmann, Ben Lee, Felipe Lopez-Hilfiker, Stefanie Andres, Ismail-Hakki Acir, Matti Rissanen, Tuija Jokinen, Siegfried Schobesberger, Juha Kangasluoma, Jenni Kontkanen, Tuomo Nieminen, Theo Kurtén, Lasse B. Nielsen, Solvejg Jørgensen, Henrik G. Kjaergaard, Manjula Canagaratna, Miikka Dal Maso, Torsten Berndt, Tuukka Petäjä, Andreas Wahner, Veli-Matti Kerminen, Markku Kulmala, Douglas R. Worsnop, Jürgen Wildt & Thomas F. Mentel (2014): A large source of low-volatility secondary organic aerosol. NATURE, 506. 27 February 2014. http://www.nature.com/doifinder/10.1038/nature13032

Die Untersuchungen wurden gefördert vom der Emil-Aaltonen-Stiftung, dem Office of Science des US Department of Energy, dem Europäischen Forschungsrat ERC (ATMNUCLE), der Europäischen Kommission (PEGASOS) und der Academy of Finland Center of Excellence.

 

Weitere Infos:

Dr. Mikael Kristian Ehn (en. + fi.), Universität Helsinki

https://tuhat.halvi.helsinki.fi/portal/en/persons/mikael-kristian-ehn%280f9f7088-93e0-457a-863c-969037a64ebf%29.html

und

Dr. Torsten Berndt/ Prof. Hartmut Herrmann, Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS)

Tel. +49-341-2717-7032, -7024

http://www.tropos.de/institut/ueber-uns/mitarbeitende/

http://www.tropos.de/institut/abteilungen/chemie-der-atmosphaere/

oder

Tilo Arnhold, TROPOS-Öffentlichkeitsarbeit

Tel. +49-341-2717-7060

http://www.tropos.de/ift_personal.html

 

Links:

Centre of Excellence in Atmospheric Science – From Molecular and Biological processes to The Global Climate: http://www.atm.helsinki.fi/FCoE/

Feldstation SMEAR II der Universität Helsinki in Hyytiäla: http://www.atm.helsinki.fi/SMEAR/index.php/smear-ii

Jülich Plant Atmosphere Chamber (JPAC): http://www.fz-juelich.de/portal/DE/Forschung/EnergieUmwelt/PflanzenTerrestrischeSysteme/Pflanzenforschung/_node.html

Forschung zur Partikelneubildung (Nukleation) am TROPOS: http://www.tropos.de/forschung/atmosphaerische-aerosole/prozessstudien-auf-kleinen-zeit-und-raumskalen/partikelneubildung-und-prozessierung-sekundaeraerosol/partikelneubildung-nukleation/ueberblick/

 

Pressemitteilungen zum Thema:

Pflanzen bremsen die Klimaerwärmung (Pressemitteilung vom 28.04.2013): http://www.tropos.de/aktuelles/pressemitteilungen/details/pflanzen-bremsen-die-klimaerwaermung/

NATURE: Neues Oxidationsmittel der Atmosphäre entdeckt, das Luftschadstoffe abbaut (Pressemitteilung vom 08.08.2012): http://www.tropos.de/aktuelles/pressemitteilungen/details/nature-neues-oxidationsmittel-der-atmosphaere-entdeckt-das-luftschad/

Wolken verändern die chemische Zusammensetzung und die Eigenschaften von Partikeln (Pressemitteilung vom 02.08.2012): http://www.tropos.de/aktuelles/pressemitteilungen/details/wolken-veraenderen-die-chemische-zusammensetzung-und-die-eigenschaften/

 

Photos:

Messstation der Universität Helsinki im südfinnischen Hyytiäla . Foto: Juho Aalto

Messstation der Universität Helsinki im südfinnischen Hyytiäla . Foto: Juho Aalto

Messstation der Universität Helsinki im südfinnischen Hyytiäla . Foto: Juho Aalto

Messstation der Universität Helsinki im südfinnischen Hyytiäla . Foto: Juho Aalto

Laminar-Strömungsrohr des TROPOS. Foto: Tilo Arnhold/TROPOS

Laminar-Strömungsrohr des TROPOS. Foto: Tilo Arnhold/TROPOS

Laborantin Kornelia Pielok am Laminar-Strömungsrohr des TROPOS. Foto: Tilo Arnhold/TROPOS

Laborantin Kornelia Pielok am Laminar-Strömungsrohr des TROPOS. Foto: Tilo Arnhold/TROPOS